RIMG0048Zwanzig Jahre sind bereits seit dem sogenannten Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verstrichen. Doch noch immer hängen Kruzifixe in bayrischen Gerichtssälen. Keineswegs handelt es sich dabei lediglich um so etwas wie folkloristischen Zierrat. Die Justiz des Freistaats legt damit Bekenntnis ab. Und sie offenbart gleichsam ein Welt- und Menschenbild, welches mit dem Rechtsverständnis einer aufgeklärten Gesellschaft bisweilen in Konflikt gerät. So ist beispielsweise das Ahnden und Sanktionieren von unliebsamen Gedanken oder gar Absichten unserer Rechtsordnung fremd, so lange dem keine Taten folgen. Bayrische Richter sehen das schon mal anders.

So auch jene des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH), denen allein die Absicht einer in Bayern lebenden Führerscheininhaberin, einen Joint rauchen zu wollen, ebenso suspekt und für die Allgemeinheit gefährlich anmutete wie der tatsächliche Konsum der Droge. Wer seit früher Kindheit vor der Sündhaftigkeit unkeuscher Gedanken gewarnt (Mat. 5, 27f) und dazu angehalten wird, für Selbige Abbitte zu leisten, mag sich schwer tun mit der Vorstellung, dass die Betroffene, von der hier berichtet wird, so ohne weiteres davonkommen sollte.

Diese hatte sich wohl enthemmt durch den in einem Restaurant legal konsumierten Alkohol zu frivolem Gehabe hinreißen lassen. Sie lud einen der Kellner dazu ein, mit ihr Cannabis zu konsumieren. Dessen Reaktion erfüllte nicht die Erwartungen des weiblichen Gastes. Wohl deshalb sah sich die Dame veranlasst, eine der sich in ihrem Besitz befindlichen Dolden vor sich auf den Tisch zu legen und somit die Ernsthaftigkeit ihres Anerbietens zu bekräftigen. Ob nun aus Sorge um den Ruf des Restaurants, aus Sorge um seine eigene Reputation oder vielleicht auch aus Sorge um die Besitzerin der Pflanzenteile – wir wissen es nicht – ergriff der Kellner eben dieselben und steckte sie in eine seiner Taschen. Um zu belegen, wie wenig sie der Kellner damit beeindrucken konnte, verwies die Frau auf eine weitere Dolde in ihrer Geldbörse. Von welchen Motiven sich die Frau auch immer hatte leiten lassen, als sie ihre Einladung an den Kellner ausgesprochen hatte, jedenfalls war das Klima längst umgeschlagen, und die Polizei hinzu gerufen worden.

Dennoch wollte sich bei der besagten Führerscheininhaberin noch keine Unruhe einstellen. Das ganze Geschehen wurde von ihr allenfalls als ärgerlich empfunden. Auch wenn mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln zu rechnen war, durfte sie doch mit dessen als baldiger Einstellung rechnen. Der Besitz von 0,3 g Cannabis zum Zwecke des Eigenkonsums wird wohl auch in Bayern nicht angeklagt. Sie hatte Alkohol getrunken, aber das war ja nicht verboten. Und die Polizei hatte sie nicht hinter dem Steuer ihres PKW sondern vor einem Tresen festgestellt. Eine sogenannte Trunkenheitsfahrt lag also nicht an. In strafrechtlicher Hinsicht ein unspektakulärer Fall.

Das sah man auch bei der Polizei so. Doch gönnte man dem Fall etwas mehr Aufmerksamkeit. Eben zu diesem Zwecke wurde die Fahrerlaubnisbehörde in Kenntnis gesetzt. Dort traf das Geschehen auf das erwartete Interesse. Dass die Führerscheininhaberin gar nicht am Straßenverkehr teilgenommen hatte, war dabei ganz und gar bedeutungslos. Entscheidend war, dass sie nach dem Genuss von Alkohol bereit gewesen war, Cannabis zu konsumieren. Im Fachjargon ist von Misch- oder auch Parallelkonsum die Rede. Von Gesetzes wegen hat die Fahrerlaubnisbehörde beim Vorliegen von Misch- bzw. Parallelkonsum an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen des in den Fokus der Behörde geratenen Fahrerlaubnisinhabers zu zweifeln. Dem Fahrerlaubnisinhaber ist dann die Gelegenheit einzuräumen, besagten Zweifel aus der Welt zu schaffen. Und zwar durch ein Fahreignungsgutachten.

Dazu war die Betroffene nicht bereit. Die ihr von der Behörde gesetzte Frist verstrich. Das angeforderte Gutachten wurde nicht vorgelegt. Die Fahrerlaubnisbehörde sah ihre Zweifel an der Eignung der Betroffenen als nicht ausgeräumt an und entzog die Fahrerlaubnis. Nun setzte die Betroffene all ihre Hoffnung in die obersten Verwaltungsrichter des Freistaats. Es dürfe doch nicht unberücksichtigt bleiben, dass es tatsächlich gar nicht zum Mischkonsum gekommen war. Der Joint war ja nicht mal gedreht worden. Geschweige denn, dass er angezündet und geraucht worden wäre. Doch das Gericht zeigte sich unnachgiebig. Es ist der Meinung, dass „ein der Fahreignung entgegenstehender charakterlich-sittlicher Mangel (…) nicht nur bei einer Person vorliegt, die bereits Betäubungsmittel eingenommen hat. Anlass zu der gleichen Besorgnis gibt auch jemand, der konkrete Anstalten trifft, solche Substanzen zu konsumieren, sofern er in der Lage ist, dieses Vorhaben auch umzusetzen (z.B. weil er die einzunehmende Droge mit sich führt oder er auf sie sonst sogleich Zugriff nehmen kann).“

„Die Gedanken sind frei“, heißt es in einem alten deutschen Volkslied. Schon richtig, solange sie es auch bleiben; Gedanken eben.